Estonia

Mehr Kunst, weniger Kunstsammler

Eero Epner

Art Collecting in Estonia

Auch die Anzahl von Kunstwerken wuchs. In den 1980ern kommentierte ein Kritiker, dass die Menschen “mehr malten denn je”, und natürlich wurden die Bilder nicht nur für das eigene Atelier geschaffen. “So gehörten siebenundzwanzig von zweiunddreißig Gemälden, die in der ersten Halle ausgestellt waren, glücklichen Besitzern und drei zu staatlichen Sammlungen”, wurde über eine Ausstellung des Werks eines der Spitzenkünstler in den 1980ern berichtet. Doch diese Bemerkung kann nicht als Nachweis für Kunstsammeln der Wohlhabenden genommen werden. Was geschah, war stattdessen das sogenannte kommunale Kunstsammeln, das Gemälde dazu benutzte, Wohnungen zu dekorieren, und die Gruppe der Käufer war nicht begrenzt auf sehr reiche Leute (tatsächlich gab es zu der Zeit keine) oder auf die Partei-Nomenklatura. Es war eine weit breitere Gruppe, welche Kunst kaufen konnte. Wenn wir aber Kunstsammlung in der Bedeutung nehmen, dass eine Sammlung systematisch gebildet wurde, mit bestimmten Schwerpunkten und genug Werken, um eine entscheidende Masse zu erreichen, sodass Verallgemeinerungen darüber gemacht werden konnten, dann wurde diese Art von Sammlungen in der sowjetischen Ära nicht aufgebaut. Oder eher, wenn sie überhaupt existierten, blieben sie unbekannt, neben den drei oder vier bereits erwähnten.

Die staatlichen Sammlungen allerdings wuchsen um so mehr. Zusätzlich zu den Staatsmuseen wurde Kunst auch durch die Kunststiftung, dem Ministerium für Kultur und anderen Institutionen gekauft. Dies wiederum wirkte sich auf das tägliche Leben der Künstler aus, weil die weitgehende Mehrheit von ihnen verschiedene Formen von Unterstützung genossen und etliche der Spitzenkünstler sich darauf beschränken konnten, nur ein oder zwei Bilder pro Jahr zu produzieren, weil das Geld, das sie bekamen, für den Unterhalt ihrer Familien reichte und sie sicher sein konnten, dass ihre Werke verkauft wurden. Eine gute Anzahl von estnischen Künstlern erwarben die Aufmerksamkeit von sowjetischen Staatmuseen in St. Petersburg, Moskau und anderswo, und viele dieser Künstler verkauften eine große Anzahl Arbeiten in diese Städte. Trotzdem entstanden hier keine der Spannungen zwischen Nachkriegs-Avantgardekünstlern und dem Kunstmarkt, wie sie typisch waren in den Vereinigten Staaten und Westeuropa (ungeachtet gelegentliche Klagen über den einen oder anderen “zu kommerziellen” Künstler). Es mag gerade das Fehlen von solchen Spannungen gewesen sein, das zur langsamen Stagnation in der estnischen Kunst führte, die in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre am Schwersten war.